UNENDLICHE FLÜSSIGKEITEN

Zu den Arbeiten Peter Köllerers

Ein Palmenstrand, abfotografiert, auf Fototapete gedruckt, an eine Wand geleimt in einem Raum, in dem schon lange niemand mehr wohnt. So verlassen ist das Gebäude, dass die Wand mit der Fototapete nicht mehr ein Zimmer vom anderen trennen muss. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat sie ein Loch, durch das man ein Dahinter erahnt, das wohl ähnlich beschaffen ist wie das Davor.

palmenstrand_hop
Palmenstrand (SONDERFÄLLE), 2003

Die lakonische Szenerie, in der die Anwesenheit von Menschen einer fernen Vergangenheit anzugehören scheint, abfotografiert, auf die Front eines Leuchtkastens vergrößert und als Bild in einer Galerie ausgestellt. Die Ebenen des Abbildens und die Ebenen des Raums liegen übereinander wie Transparentpapier.

In Peter Köllerers Arbeiten geht es immer wieder um die Schichtung von Ebenen. Löcher, Glasscheiben, Wasserflächen machen sie permeabel. Die Mehrschichtigkeit der Motive findet ihre Entprechung in den unterschiedlichen Formaten der künstlerischen Umsetzung: Fototapeten, Prints, Leuchtkästen. Die Arbeiten oszillieren so zwischen Objekten und raumprägenden Sekundärstrukturen – eine fotografierte Fototapete könnte zur wandauflösenden Fototapete eines neuen Raums werden, ein Setting mit mehreren Schichten von Glas- und Wasserflächen wird durch die Transformation in einen Leuchtkasten gleichermaßen zum gerahmten Guckkasten-Bild und zum durchscheinenden Raumzeichen.

Die Fotoarbeiten lassen dem Betrachter alle Rezeptionsebenen raumdefinierender wie auch formaler und inhaltlicher Sichtweisen offen.

Eine beleuchtbare Reklametafel über den Dächern von Wien gibt, ihrer Vorderseite entkleidet, ein eigenartiges, quasi-organisches Innenleben mit architektonischen Strukturen, Treppen, Fensterchen und Türen preis, als hätte sie einmal geheime Bewohner gehabt. Ihrer intendierten Semantik beraubt, steht sie als Denkmal ihrer selbst für eine neue, nicht zu definierende Bedeutung. Seit langem in diesem Zustand, wird die eigenartige Struktur direkt neben dem Westbahnhof von kaum jemandem bemerkt.

Ebenso wenig wie die verfallenden Industriegebäude, deren leere Fensterhöhlen Plakatwände verdecken. Mit Werbebotschaften aufgeladen, überlagern sie nicht nur Teile der Architektur, sondern entziehen sie durch ihre Präsenz der Wahrnehmung. Wieder kommt die semantische Schichtung der künstlerischen Arbeit Peter Köllerers ins Spiel: Bei einem Installationskonzept für die Plakatwände werden diese mit Fotografien des Innen bestückt. Dort sieht man durch die leeren Fenster die Rückseiten der Plakatwände: Das Bild des Innen zeigt die Rückseite des Außen. Die Aussage der kommerziellen Plakatierung wird gedreht, anstelle des Bildes der beworbenen Gebrauchsgüter tritt eine Neucodierung des Vorhandenen. Der Blick wird zurückgeworfen, so wie sich Bilder vor das Eigentliche stellen und es vordergründig definieren, während hinter ihnen die nächste Ebene durchscheint. Orte treten in Dialog mit ihrer Umkehrung. Dargestellt wird nur ein mögliches Abbild dieser „Gegenorte“. Das Spiel der Wahrnehmung wird zur letztlich nicht auflösbaren Wechselwirkung.

Besitzen Peter Köllerers digital zu Panoramen montierte Fotografien einerseits die fragile Ästhetik von Vanitas-Stilleben, so entziehen sie sich doch jeder metaphorischen Lesbarkeit. Wüstes scheint sich abgespielt zu haben an jenen Orten, die nun extreme Statik prägt. Keine lebendigen Wesen finden sich in ihnen, und man vermag sie sich nur in absoluter, submarin dumpfer Stille zu denken. Spuren von Lebensvorgängen durchziehen die verlassenen Hallen: umgekippte Schränke, aufgeschlitzte Sofas, absurd durchlöcherte Wände. Leere Flecken an Wänden, wo einmal Möbel standen, Ablagefächer stehen, ihrer Funktion beraubt, in leeren Räumlichkeiten.

wasser_hop
Wasser (SONDERFÄLLE), 2003

Eine wertfreie, melancholische Schönheit prägt die Szenerien. Gelegentlich ergeben sich Situationen, die an künstlerische Installationen denken lassen. Das bildungsbürgerlich codierte Auge glaubt einen Donald Judd, einen Bruno Gironcoli zu erkennen und weiß doch, dass es nicht sein kann und alte Fabrikhallen anders aussehen, wenn sie zu Ausstellungsräumen umfunktioniert werden.

Peter Köllerer fokussiert das Periphere, das Ungewollte, das Vorläufige. Die Liebe zum Übriggebliebenen von Leben und Konsum, zu den alleingelassenen Dingen, den unabsichtlichen Szenerien, die nach dem Abzug menschlicher Aufmerksamkeit sichselbst überlassen bleiben, verbindet ihn mit Kurt Schwitters. Wie Schwitters mit zwei großen leeren Koffern zu verreisen pflegte, die er gefüllt mit Remittenden des Alltags nach Hannover zurückbrachte, findet Peter Köllerer hinter den Mauern ruinöser Industrie- und Wohnanlagen zufällige Arrangements von eigener, leiser „as found“-Ästhetik, Bühnenbilder nicht stattfindender Plots.

Die auf dem Boden verstreuten Karteikarten fungieren nicht mehr als Bedeutungsträger. In ihrer abstrahierten Qualität sind die Dinge als Zeichen nicht entschlüsselbar. An die Assemblagen von Schwitters lassen auch die Titel der Arbeiten denken: Mit (Blau), (Eck), (Wasser), (Fenster), (Ding) oder (Objekt) benennen sie, woran sich Erinnerung und Auge festhalten, wenn keine Definitionen gegeben sind. Infrastrukturen der Produktion, der Verwaltung, des Lagerns und Archivierens finden sich, Fächer, Schränke, Ablagen, ihres Zwecks verlustig gegangen, abstrahiert zu Readymades in neuen, ambivalenten Zusammenhängen.

Die panoramatische Kombination gibt den Arbeiten auch den zeitlichen Aspekt eines Nacheinander der Wahrnehmung. Zeit ist auch ein wesentliches Element der Sujets, die sich ohne die Einwirkung von Prozessen der Verrottung, des Einstaubens, des Sich-Arrangierens mit dem transitorischen Zustand der Verlassenheit vor der Demolierung oder dem Weggeräumtwerden nicht ergeben könnten. Diese zeitlichen Ebenen werden überlagert von räumlichen und semantischen. Robert Musil konstatierte einst den Verlust des „ordentlichen Nacheinanders von Tatsachen“.

Wahrheit, so erkennt Ulrich, der „Mann ohne Eigenschaften“, ist eben „kein Kristall, den man in die Tasche stecken kann, sondern eine unendliche Flüssigkeit, in die man hineinfällt“.

Iris Meder 2004