BUNDESSTRASSE 1

Bei einem schnellen Durchblättern von Peter Köllerers ‚Bundesstraße 1‘ fühlt man sich zunächst an photographische Arbeiten der Moderne erinnert, die mit einer Vermessung von Räumen oder ihren Bewohnern zu tun haben, mit Arbeiten also, in denen künstlerische Photographie mit Dokumentation verschmolzen wird, die die Dinge gewissermaßen erschließt und so die dokumentierten Inhalte zumindest an den Rand von Kunst führt.

Erst bei einem genauen Studium der Arbeiten wird deutlich, dass es zu kurz greift, das Buch einfach in der Folge einer Photokunst in der erwähnten Tradition zu sehen. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, möchte ich zunächst ein paar kurze Anmerkungen zu anderen Arbeiten Köllerers machen.

Ein guter Ausgangspunkt scheint mir hier die Serie ‚Fälle und Sonderfälle‘ zu sein, die zwischen den Jahren 2002 und 2007 entstanden ist. Es handelt sich um leicht nachbearbeitete Photographien von Räumen, die immer in einem mehr oder weniger derangierten Zustand sind. Entweder ist es Bauschutt, offene Schranktüren, etwas Verpacktes oder ein Möbelstück, das direkt vor eine Fensterfront platziert ist, jedenfalls wird immer ein transitorischer Zustand abgebildet. Der Künstler spricht von Orten, die aus dem normativen Kontinuum eines öffentlichen oder halböffentlichen Raumes herausgefallen sind. Er betont auch, dass die Arbeiten gleichzeitig Resultat und Ausgangspunkt seiner Arbeit sind und dass er sie als Objekte, also in ihrem Format und damit in ihrer Präsentation unspezifiziert lassen will. Das Moment der Transition, des Nicht-Fertigen scheint hier also entscheidend zu sein.

Ähnliches lässt sich auch für die Arbeit „Cittá“ aus 2006 sagen, Photos, die der Künstler an den wie er sagt „abgeschabten und ausgefransten“ Rändern Roms aufgenommen hat. Das transitorische Moment entsteht hier gewissermaßen durch die abgebildeten Unorte, die irgendwie zwischen bewohnter Landschaft und Natur unterzugehen scheinen und die in unserer örtlichen Erinnerung keinen Platz einzunehmen scheinen.

Auch hier wird der eingangs erwähnte dokumentarische Aspekt von Photographie zurückgedrängt und die Arbeit auf eine im Grunde genommen abstrakte Ebene gebracht, auf der wir den Raum nur schwer als figurative Einheit wahrnehmen können.

hig res portraits bw  36mm 006
Hütte (CITTÁ), 2006

Köllerer erinnert hier an den Begriff des Hybriden, wie er im Architekturdiskurs gebraucht wird, denn dabei geht es auch sehr stark um die Beschäftigung mit den undefinierten Zwischenräumen, die aus den althergebrachten Strukturen herausfallen, aber gerade deswegen Ausgangspunkte für ein neues Raumverständnis sein könnten.

Mit Begriffen wie Unort oder Hybrid kann man sich, glaube ich, auch ganz gut dem hier vorgestellten Projekt und Buch ‚Bundesstraße 1‘ nähern. Natürlich handelt es sich, wie schon der Titel sagt, um Abbildungen von Bauwerken und darüber hinaus von allen möglichen Objekten, die an einer Linie zwischen Wien und Salzburg entstanden sind und so scheinen sie Raum zu definieren oder zu erschließen. Ein erster wichtiger Hinweis, dass es hier vielleicht doch um mehr geht, ist die Weigerung des Künstlers, auf den Vorschlag des Herausgebers einzugehen, die Arbeiten gemäß der tatsächlichen Abfolge auf der Bundesstraße im Buch anzuordnen, also die Linie tatsächlich nachzuziehen. Die Photographien bilden in einem so hohen Ausmaß Punkte ab, die nicht verankert werden können, dass sich daraus keine tatsächliche Linie machen lässt. Um eine Linie bilden zu können, muss man verortbare Einzelteile miteinander verbinden können und genau diese Verortbarkeit verweigert uns der Blick des Künstlers. Die Häuser, die Tankstelle, die Plakatwand, ein Container oder ein Fahrzeug sind immer so gezeigt, dass sie sich schlicht nicht festmachen lassen und allein in einer Art Schwebezustand bleiben.

Meist stehen sie wie Skulpturen oder Land Art im Bild. Der Titel des Buches widerspricht so in gewisser Weise seinem Inhalt. Der im Buch vorangestellte Text spricht von einer Fahrt in die Vergangenheit, aber wie es oft mit der Erinnerung an etwas Vergangenes ist, ergibt diese keine Episode, keinen stringenten Narrativ, vielmehr besteht die Erinnerung aus Blitzen und Bruchstücken, die nur schwer ein Ganzes formen können. Daraus bezieht die Arbeit ihre Spannung, die Einzelbilder ergeben eben keinen Film. Aber die Bilder als Bausteine werden zu einem künstlerischen Text. Dieser Text spricht aber mehr von Zwischenräumen und einer grundsätzlichen Schwierigkeit, Raum überhaupt zu definieren.

Bild 013
BUNDESSTRASSE 1, 2009

Die Arbeit erinnert auch an minimalistische Arbeiten der 1970er Jahre, nur wurde da noch in einen – vielleicht anonymen – Raum eingegriffen und dieser so fast poetisch aufgeladen. Bei Köllerer bleiben der Raum und die Objekte in ihm in einer ganz unsentimentalen Weise alleine und es ist den BetrachterInnen völlig ohne Druck überlassen, sie in ihrer eigenen Erinnerung und vielleicht an einem ganz anderen Ort wieder festzumachen. Dabei entwickelt sich dann auch ein sehr dynamischer Moment im Blick, so dass eine Fassade plötzlich zu einem Tafelbild wird oder ein Heustadel zu einer Skulptur.

Die Photographie wird so einmal mehr aus ihrem Kontext gelöst und tritt in den Hintergrund, also auch das Medium selbst bekommt einen hybriden Charakter.

Der Eindruck der beim Betrachten der Arbeiten und des Buches bei mir immer stärker wurde, ist wie wenig meine Erinnerung aus spezifischen, zeitlich und örtlich einordenbaren Einheiten besteht und wie sehr es oft nur Fetzen und gänzlich isolierte Eindrücke sind, die diese Erinnerung ausmachen.

Martin Prinzhorn (MUSA, Wien 2009)